Nuri

Rumänien - Rovinari. Es ist Sonntag und wir erreichen unseren nächsten Einsatzort, um dort eine zweiwöchige Kastrations-Kampagne zu starten.
Ohne Umwege fahren wir direkt zum Tierheim, um dort aufzubauen, denn am nächsten Tag soll es sofort losgehen. Nachdem der OP vorbereitetet ist, mache ich mich auf den Weg durchs Tierheim. Es ist als eine Art Rondell aufgebaut. Im Kreis gereiht sind Betonzwinger. Auf wenige Quadratmeter quetschen sich vier Hunde pro Zwinger. Es ist gerade einmal Platz für eine Hundehütte. Eine Hundehütte für vier große Hunde. Ich laufe durch die Reihen und überfliege die Hunde in ihren Zwingern. Begleitet werde ich von tosendem Gebelle. Die eigene Stimme verliert sich im Lärm. Ein Zwinger fällt mir dabei ins Auge. Er hat weder eine Hütte, noch irgendetwas anderes. Er hat nur einen Wassereimer. Ansonsten Beton. Bewohnt wird er von drei Hunden. Einer von ihnen: ein weißer Husky. Zumindest war er wohl mal einer, nun ist er gelblich-grau. Er sitzt in der Ecke und zittert. Zitternd vor Angst. Mir bleibt das Herz einen Moment lang stehen und ich stecke vorsichtig meine Hände durch das Gitter. Der Schäferhund und die dunkle Mix Hündin, die mit in dem Zwinger leben, kommen sofort näher und lassen sich von mir streicheln. Nur der Husky versucht immer tiefer in seine Ecke hinein zu rutschen. Er traut sich nicht einmal mir einen Blick zuzuwerfen. Lieber schaut er beschwichtigend zu Boden. Förmlich kann ich spüren, wie er sich am liebsten in Luft auflösen würde, um meinem Blick zu entgehen.

Ich zeige auf den Zwinger und frage, wieso sie keine Hütte bekommen haben und nun auf dem kalten Beton leben müssen. Das Tierheim ist furchtbar genug, da sollten die Hunde doch wenigstens eine Rückzugsmöglichkeit haben! Ich bin wütend und deute ihnen an, sie sollen eine Hütte in den Zwinger stellen. Doch die Pfleger winken ab. Sie erzählen mir, dass der Husky so unglücklich in seinem Zwinger sei, dass er nachts auf der Hütte stehen würde und versucht sich durch den Holzbalken im Dach zu fressen. Raus in die Freiheit. So entschieden sie, ihnen die Hütte weg zu nehmen. Der Gedanke macht mich traurig. Ein Hund, der von seinem Ursprung her freiheitsliebend ist und Bewegung braucht, gefangen von den Hundefängern, um jetzt eingesperrt auf diesen wenigen Quadratmetern zu sein. Ich kann ihn verstehen. Er wollte sich seinem Schicksal nicht fügen, war aber trotzdem machtlos. Wir einigen uns darauf, dass die Hunde wenigstens eine Holzpalette bekommen, um nicht im Nassen sitzen zu müssen.
Ich gehe weiter die Reihen entlang. Endlos erscheinen mir die Zwinger voll mit Hunden.
Die Eindrücke im Tierheim, allem voran der traurige Husky Rüde, bescheren mir eine schlaflose Nacht. Immer und immer wieder muss ich an ihn denken.

Mit meinem Weckerklingeln steht mein Entschluss fest! Auch, wenn wir durch unsere Kastrationsaktion sehr eingespannt sind, werde ich mir ab jetzt jeden Tag Zeit nehmen und mich zu den Hunden in den Zwinger setzen. Wenigstens dem Husky will ich die Chance auf eine bessere Zukunft geben.

Gleich am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg. Wieder dröhnt das Bellen der Hunde in meinen Ohren. Und obwohl jedes Wort im nichts zu verstummen scheint, versuche ich leise zu den Hunden zu sprechen. Ihnen zu sagen, dass die Welt nicht nur Grausamkeit für sie übrig hat. Mir tut es unendlich leid sie in diesen winzigen Zwingern zu sehen. Einige panisch in der Ecke sitzend, andere am Zaun nach Aufmerksamkeit winseln und andere sich lauthals beschweren. Ich gehe ohne Umwege direkt zu "meinem" Zwinger. Ich habe eine Mission: Freundschaft mit dem armselig, vor Angst zitternden, Husky schließen und ihn zeigen, dass die Welt auch für ihn nicht nur Grausamkeit bereit hält. Ich öffne die Zwingertür und quetsche mich hinein. Ein Schäferhund und eine mittelgroße Mischlings-Hündin begrüßen mich vorsichtig, aber sichtlich glücklich. Als ich mich auf der feuchten, gammeligen Palette niederlasse, kann ich ihr Herz vor Glück förmlich springen hören. Begeistert beginnen sie sich an mich zu schmiegen, um gestreichelt zu werden. Nur einer weiß meine Anwesenheit noch nicht so recht einzuschätzen. Der weiße Husky Rüde sitzt in die Ecke gedrückt und zittert. Genauso, wie ich ihn den Tag zuvor bereits vorgefunden habe. Ich beschließe ihm Zeit zu geben. Ich sitze also still da und streichle meine beiden neuen Freunde, während ich die

anderen Hunde in den umliegenden Zwingern begutachte. Noch nie hatte ich ein Tierheim aus dieser Perspektive gesehen. Noch nie habe ich mir die Zeit genommen die Hunde so zu sehen, wie sie sind, wenn niemand hindurch läuft und für Unruhe sorgt. Langsam legt sich das Bellen der Hunde und die meisten liegen bereits wieder auf ihren Hütten. Zumindest diejenigen, die sich durchsetzten konnten, den anderen bleibt nur der Betonboden. Plötzlich fällt mir auf, wie viele Hunde ich beim durch die Reihen gehen nicht gesehen habe, da sie ängstlich in ihre Hütten zurückgezogen liegen. Ich gehe still meinen Gedanken nach und muss feststellen, wie unfassbar traurig mich dieses Gefühl macht. All diese Hunde, die hier eingesperrt wurden. Die meisten werde den Rest ihres trostlosen Lebens hier fristen. Selbst die Welpen sind kaum anfassbar vor Angst, wachsen sie doch ohne Sozialisierung auf. Es macht mich wütend die Hunde zu sehen, die nichts für ihr Schicksal können und jetzt hier auf engsten Raum zusammen leben müssen, egal ob sie sich verstehen oder nicht. Überall sehe ich Beißereien. Es wird geknurrt, gefletscht und aufeinander gestürzt, bis der andere schreiend vor Angst am Boden liegt. Es stinkt bestialisch nach Urin und allem möglichen anderen. Der Beton ist nass und kalt. All diese Hund haben sich dieses Leben nicht ausgesucht und sind doch verbannt ihr Leben hier fristen zu müssen. Ich könnte glatt heulen vor lauter Emotionen, die plötzlich in mir hoch sprudeln und wieder einmal die Ungerechtigkeit der Welt zu Tage tragen.
Doch ich bin nicht hier, um in Trauer und Wut zu versinken, sondern mit der Mission, wenigstens einem armen Seelchen ein Start ins glückliche Leben zu verhelfen...

Nuri flüstere ich. Du wirst den Namen Nuri bekommen. Nuri bedeutet Licht. Und genau das ist das Ziel. Ein wenig Licht in die Dunkelheit des Tierheims bringen.
Ab jetzt mache ich mich jeden Tag auf den Weg zu Nuri. Ich setzte mich still auf die Palette und sehe im Augenwinkel, wie Nuri in unbeobachteten Momenten beginnt mich zu inspizieren. Er wird neugieriger und ich beobachte, wie er meinen Geruch beginnt aufzunehmen. Immer und immer wieder Strecke ich ihm die Hand entgegen, ohne ihn dabei zu berühren. Er sitzt immer weniger zitternd in der Ecke, sondern liegt mit mir im Zwinger. Sobald er an mir vorbei huscht, kann ich ihn für wenige Sekunden streicheln, doch für direktes anfassen ist seine Angst noch zu groß. Zwei Wochen lang gehe ich ihn jeden Tag besuchen. Jeden Tag sitze ich aufs neue auf der nassen Palette und verspreche ihm, dass er bald Licht im Dunkeln sehen wird. Wir kastrieren ihn, er wird gechippt, geimpft, mit Parasitenmittel versorgt und auf Mittelmeerkrankheiten getestet.

An meinem letzten Tag im Tierheim verabschiede ich mich von Nuri. Meine sieben Wochen Einsatz in Rumänien neigen sich dem Ende und ich mache mich auf zum Flughafen. Ein letztes Mal gehe ich zu Nuri und flüstere ihm zu, dass er durchhalten muss, denn ich wusste, dass auch seine Tage im Tierheim gezählt sind. Der Transport in ein besseres Leben war bereits organisiert und so durfte auch er eine Woche später nach Deutschland aufbrechen.

Nuri ist geprägt von Angst. Viele Wochen und Monate wird es sicher noch dauern, bis er langsam Vertrauen fassen kann und zu einem normalen Hund werden kann. Viele Stunden Engagement, Zeit und Durchhaltevermögen wird es brauchen. Und sicher auch einige Stunden bei erfahrenden Hundetrainern, bis Nuri bereit sein wird seine Angst hinter sich zu lassen und ein glücklicher Hund zu werden.

Darum ist Nuri auf Sie angewiesen. Denn nur mit Ihrer Unterstützung ist es uns möglich Hunden wie Nuri eine Chance auf ein besseres Leben zu geben. Nuri freut sich sehr über Patenschaften, denn nur mit Ihnen zusammen kann er das Licht in der Dunkelheit finden.

 

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